Startseite > Neuigkeiten > Chefdays

Chefdays by Rolling Pin

31.05.15 - 01.06.15, Graz  

Ende Mai war es wieder soweit. Das renommierte österreichische Gastromagazin „Rolling Pin" lud zu den zweiten „Chefdays", Österreichs größtem Foodsymposium, nach Graz.

Und wahrlich, klotzen, nicht kleckern war die Devise. Nicht weniger als 22 nationale und europäische Kochstars und Szeneinsider waren eingeladen, um dem zahlreich erschienenen Fachpublikum ihre Kreationen, Arbeitsweisen und diesbezüglichen Gedanken näher zu bringen. Die Hauptpräsentationen fanden auf einer 180 m2 großen Bühne statt, die - mit einer beneidenswerteren Hightech-Küche ausgestattet -  zum Spielplatz der Vortragenden wurde.

Betrachtet man die Herkunft der „Speaker" fiel auf, dass viele der jungen europäischen, Sterne- und Haubenköche eher aus den nördlichen Gefilden Europas stammen und den Ländern, welche vermeintlich als die Wiege der europäischen Kochkunst gelten, langsam den Rang ablaufen. Egal, ob aus Belgien, Norwegen oder Dänemark ihr gemeinsames Kredo ist „Regionalität". Die neu aufkommende Flämische Cuisine, welche sich in gewisser Weise an die bereits etablierte Nordic Cuisine anlehnt, war besonders stark vertreten. Die Belgier, rund um den jüngsten 3-Sterne Koch der Welt, Gert de Mangeleer und seinem Kollegen Kobe Desramaults, konzentrieren sich auf Produkte der Region und zaubern daraus sensationelle, saisonale Gerichte, ohne jeweils die eigene, individuelle kulinarische Handschrift zu verlieren.

Dass in Belgien nicht nur vorzüglich und mit regionalem Schwerpunkt gekocht wird, stellte der selbsternannte „Shock-o-latier" Dominique Persoone eindrucksvoll unter Beweis. Persoone ist der lebende Beweis dafür, dass Schokolade nicht nur glücklich, sondern auch äußerst kreativ macht. In Lederhosen und Bergschuhen bekleidet berichtete mit einer an Stand-up Comedy erinnernden Show, die sicher zu den unvergesslichsten des Wochenendes gehörte, von seinen scheinbar unendlich sprühenden originellen Ideen und wie er diese sowohl sozialen als auch außergewöhnlich schrägen Projekte umsetzt. Gemeinsam mit Heston Blumenthal entwickelte er fliegendes Helium-Schokolademousse, für den Geburtstag von Ron Wood und Charlie Watts von den Rolling Stones erfand er den „Chocolate Shooter", eine Vorrichtung, mit der man sich anstatt illegaler Substanzen Schokoladenpulver in die Nasenlöcher schießen kann. Er kreiert formschöne Pralinen aus nahezu allen bekannten Lebensmitteln. Beispielsweise „Asian confetti" eine Praline mit Reisessigkaramel, Soyasauce, Sesampraline, Sansho Pfeffer und Knallbrause. Etwas gewöhnungsbedürftig dürfte „Bacon" sein, ein Praline aus Mandelcreme mit knusprigem Speck und Quinoa.

Wenn auf der Speakersbühne Pause war, liefen so genannte „Masterclasses", eine Art Workshop bei denen man den Meistern aus nächster Nähe beim Erstellen ihrer manchmal etwas ausgefallenen Kreationen auf die Finger schauen konnte und das Zubereitete auch verkostet werden durfte. Ich hatte mich am ersten Tag für eine Masterclass des Schweizer Molekularkochs Rolf Caviezel entschieden, der mit seiner neuesten Idee „Kochen mit Erde" polarisiert. Mit Hilfe des Grazer Molekularbiologen Dr. Helmut Jungwirth hatte Caviezel verschiedene Erden analysiert und ausprobiert, um aus den für den Menschen verträglichsten, ein Menü zusammenzustellen. Geschmacklich waren alle Gerichte delikat und aromatisch, begleitet von einem Hauch Waldaroma. Das leichte Knirschen beim Kauen und die etwas sandige Konsistenz im Mund sind jedoch gewöhnungsbedürftig. Nun ja, Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und die Idee des Kochens mit Erde steckt noch in den Kinderschuhen. Vielleicht ist es aber ein richtungsweisender Schritt in die Zukunft.

Als eine der wenigen weiblichen Speaker hat die Schweizerin Tanja Grandits beim Publikum nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Ihr kleiner „Spleen", im positivsten Sinne, ist, dass ihre Küchenphilosophie darin besteht, ausschließlich einfarbige Gerichte zu kreieren, nach Möglichkeit mit runden Formen. Grandits sieht dies nicht als Einschränkung ihrer Kochkunst, sondern als Herausforderung aus den vorhandenen Produkten das Bestmögliche, in möglichst vielen Variationen herauszuholen. „Wenn alles einfarbig ist, erzeugt es eine große Harmonie, ohne Ablenkung", so Grandits. Die Köchin aus Basel brachte im Handgepäck sogar ihren eigenen „Lieblingsteller" mit - selbstverständlich einen runden - um ihre Kreation mit dem klingenden Namen „la vie en rose" Carabineros, Rosentee und Himbeerzwiebel darauf anzurichten.

Die zweite Masterclass bei der ich teilnehmen durfte war vom österreichischen Haubenkoch Andreas Döllerer. Er stellte seinen Auftritt unter das Motto „Geschmackspatriotismus 2.0" und begeisterte seine Gäste mit Auszügen seiner, wie er es nennt „kulinarischen Wanderungen", Menüs aus seinem haubendekorierten Genießerrestaurant in Golling. Döllerers Küchenlinie treu bleibend, werden nur Produkte aus der Region verwendet.  Schon das „Amuse-Gueule" (Gruß aus der Küche) stimmte die Gäste auf die alpine Wanderung ein. Das kleine Gericht wurde auf einem ansprechend großen Stein angerichtet und musste ohne Besteck direkt von diesem abgeleckt werden. Spannend und regional ging es weiter mit der so genannten „Alpinen Jakobsmuschel". Obwohl die Jakobsmuschel eigentlich kein Produkt aus alpinen Regionen ist, zaubert Döllerer die perfekte optische und texturmäßige Illusion. Nur der rauchige Geschmack enttarnte die vermeintlichen Jakobsmuschelscheiben als geräuchertes Ochsenmark im Dashisud mit fermentierten Knoblauch und Spitzkraut.  Als drittes Gericht wurde „Gletscherschliff" serviert. Die Ankündigung, dass durch Erosion abgeriebenes Steinmehl Bestandteil des Gerichts sei, ließ den Gedanken an die knirschenden Erdrückstände im Mund wieder aufkommen. Die Bedenken waren jedoch völlig unbegründet. Döllerer verarbeitet den Gletscherschliff zu einem Teig, in dem eine ganze Fenchelknolle gebacken wird. Dazu wurde „Gletschereis" aus Sauerrahm und Kaviar des renommierten Salzburger Kavierherstellers Walter Grüll kredenzt. Ein kulinarisches, jedoch viel zu kurzes Erlebnis auf höchstem Niveau. Ein Besuch in Döllerers Genießerrestaurant wird folgen.

Ein weiteres Highlight des Symposiums war das Stand-Up-Interview, das Rolling Pin Chefredakteurin Katharina Wolschner mit dem ehemaligen Hangar-7 Executive Chef Roland Trettl führte. Trettl, wie er selbst sagt „vielbeschäftigter und nun sehr glücklicher Arbeitsloser", diskutierte Fragen, die das Publikum zuvor via Facebook gestellt hatte. Wie gewohnt offen, direkt und ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen antwortete Trettl auf die teilweise sehr speziellen Fragen. Beispielsweise: „Welches Produkt wären Sie gerne und von wem würden Sie sich zurechtstutzen lassen?" Schade nur, dass die Zeit viel zu kurz war...

Es wurde aber nicht nur praktisch gearbeitet, auch wissenschaftliche Beiträge begeisterten das Publikum. Marianne Botta, Schweizer Lebensmittelingenieurin und Ernährungsexpertin referierte über die verschiedenen Wirkungen des Essens bzw. von Lebensmitteln. Das Sprichwort „Liebe geht durch den Magen" rückte durch Botters Erläuterungen eine völlig neue Perspektive. „Wer sich gesund ernährt, leidet weniger an Depressionen." Sie erklärte, welche Lebensmittel sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken und damit die Laune der Gäste beflügeln und warum vegane Ernährung eine Menge Wissen über Lebensmittel und deren Inhaltsstoffe voraussetzt, um dem Körper durch diese „Diät" keinen Schade zuzufügen.

Als österreichische Vertreter begeisterten Paul Ivic und Richard Rauch das Publikum auf der Hauptbühne, zwei Köche, deren Küchenlinien nicht unterschiedlicher sein könnten. Ivic betreibt mit seinem Restaurant „Tian" das einzige sternendekorierte vegetarische Lokal in Österreich. Dabei setzt er mit seinem Team die fleischlose Küche so gekonnt und kreativ in Szene, dass kaum einem Gast die „Fleischbeilage" zu fehlen scheint, wie er erzählt. Komplett konträr kocht Richard Rauch in seinem „Steirawirt". An das Gourmetwirtshaus ist eine Fleischerei gekoppelt und dementsprechend steht Fleisch im Mittelpunkt der Küchenlinie. Im Steirawirt wird der „from nose to tail" Trend auch wahrhaft gelebt. Innereien werden auf der Speisekarte aufgrund des umfangreichen Angebots sogar in einer eigenen Kategorie geführt.

Als Vertreter aus Deutschland waren die beiden „Tim´s" geladen. Tim Raue sowie „Mr. TV-Koch" Tim Mälzer. Raue´s Message „macht Gerichte erlebbar"! Sein neuester Wunschtraum ist, die Gerichte mit allen Sinnen fassbarer, erlebbarer zu machen. Raue erzählt in seinem Vortrag von seinen kulinarisch experimentellen Erlebnissen in Hongkong und visioniert über ein Konzept, mit dem man die Garküchen und Märkte Asiens mit ihren Düften, Aromen und Eindrücken, aber auch den dort herrschenden Temperaturen und Luftfeuchte nach Deutschland ins Restaurant holen kann, um den Gast in Raum und Zeit eben dorthin zu versetzen. Klingt nach spannender Zukunftsmusik, die aber beweist, dass beim Thema „Erlebniskulinarik" noch längst nicht alle Bereiche ausgeschöpft sind.

Im Rahmenprogramm des Symposiums nutzten zahlreiche Unternehmen und Zulieferer der Gastronomie die Chance, ihre neuesten Kreationen und Produkte zu präsentieren. Eine klare „Win-win Situation". Das wissbegierige Publikum wurde mit feinsten und neuesten kulinarischen Köstlichkeiten versorgt und die Firmen hatten eine tolle Plattform zur Präsentation ihrer Produkte. Dort traf man auch den einen oder anderen Speaker im lockeren Rahmen an und hatte die Möglichkeit Fragen zu stellen sowie über diverse kulinarische Angelegenheiten zu diskutieren.

Mein Fazit: den Veranstaltern darf zu dieser enorm dynamischen Veranstaltung, die eine geballte Ladung europäische Spitzenküche mit allen Facetten, welche die Kulinarik zu bieten hat, mit sich brachte, nur gratulieren.  Mitgenommen wurden tollen Eindrücke, faszinierende Ideen und die Feststellung, dass einem Spitzenkoch eine gewisse Dosis positive „crazyness" nicht fehlen darf. Die Vorfreude auf nächstes Jahr ist groß!

Bericht von Simone Kempinger

Chefdays Homepage

Amuse-Gueule von Andreas Döllerer, Foto: Simone Kempinger   Roland Trettl und Tim Raue, Foto: Simone Kempinger   Erdtiramisu von Rolf Caviezel, Foto: Simone Kempinger